Rückblick: Praxiskolleg „Sepharad – Jüdisches Leben auf Mallorca“ (27.–31.10.2021, Palma de Mallorca)

Jüdisches Leben auf Mallorca? Gab oder gibt es das? Um das herauszufinden, reisten wir  im Rahmen eines Praxiskollegs auf die Insel. ELES-Rabbiner Shaul Friberg, der von 2003-2008 Gemeinderabbiner auf Mallorca war, ELES Beiratsmitglied und Vertrauensdozent Prof. Dr. Rafael Arnold, der an der Universität Rostock Romanische Sprachwissenschaft lehrt und forscht, und ELES-Referentin Annett Peschel begaben sich mit 14 Stipendiat*innen auf die Suche nach Spuren jüdischen Lebens auf der Baleareninsel.

Bereits im 5. Jahrhundert gab es erste jüdische Gemeinden auf den Balearen. Unter maurischer Herrschaft erlebt das Judentum in Spanien im 10. bis 13 Jahrhundert eine Blütezeit. Das ändert sich Ende des 14. Jahrhunderts. Eine Welle religiösen Hasses erfasst 1391 auch Mallorca. Viele Jüdinnen*Juden werden ermordet, andere lassen sich taufen, um dem Tod zu entgehen. Als 1492 die Katholischen Könige das Dekret erlassen, das alle in Spanien lebenden Jüdinnen*Juden zwingt, zum Katholizismus zu konvertieren oder das Land zu verlassen, gibt es kaum noch Jüdinnen*Juden auf der Insel. Das Ende jüdischen Lebens auf Mallorca scheint besiegelt. Doch einige der zum Christentum konvertierten Jüdinnen und Juden halten heimlich an ihrem Glauben fest. Man bezeichnet sie als „Krypto-Juden“. Sie führen ein gefährliches Doppelleben; Die Inquisition ist eine ständige Bedrohung.

Die Geschichte der sog. chuetas/xuetas beginnt 1686. Bei einem Versuch, aus Palma de Mallorca zu fliehen, werden 35 Krypto-Juden von der Inquisition festgenommen und zum Tode verurteilt. Vor ihrer Exekution 1691 werden sie in einer Prozession durch Palma geführt, in Büßerhemden, auf denen ihre Namen und Vergehen geschrieben stehen. Diese Büßerhemden hängen über 130 Jahr lang, bis 1820 an den Mauern einer Kirche in Palma. Alle Hinterbliebenen mit dem gleichen Familiennamen sind ab diesem Zeitpunkt gesellschaftlich geächtet. Noch heute sind die 15 Chueta-Namen fest im kollektiven Gedächtnis der Insel verankert.

Zum Auftakt unseres Kollegs sahen wir den neuen Dokumentarfilm „Xueta Island“, der die Geschichte jüdischen Lebens von den Anfängen bis in die Gegenwart beleuchtet und dabei besonderes Augenmerk auf das Schicksal der Chuetas und ihrer Nachfahren legt. Der Film ist ein eindrückliches Dokument über das Wüten der Inquisition, aber auch für das zaghafte Wiedererwachen jüdischen Lebens auf Mallorca im 20. und 21. Jahrhundert. Auf einem Spaziergang durch die Altstadt Palmas erfuhren wir am nächsten Tag mehr über die jüdische Geschichte Palmas und welche Spuren sie im Stadtbild hinterlassen hat.

Das akademische Programm umfasste Beiträge von Rabbiner Shaul Friberg und Rafael Arnold. Diese beschäftigten sich unter anderem mit den Besonderheiten der sephardischen Riten und Traditionen sowie mit der Geschichte der spanischen Juden vor und nach ihrer Vertreibung 1492 und der ihrer Sprache, dem Ladino bzw. Judenspanischen.

Am Freitag unternahmen wir einen Ausflug in den Norden der Insel. In Inca trafen wir Robert und Noelle, die ein Haus im jüdischen Viertel des Mittelalters liebevoll restauriert haben. Die Geschichte des Casa Can Monroig und des jüdischen Viertels in Inca insgesamt ist größtenteils noch unerforscht. Leider fehlt es an Interesse seitens der Stadt und auch an finanzieller Unterstützung, um die mittelalterliche Geschichte der Stadt aufzuarbeiten. Zum Mittagessen fuhren wir auf die Finca Can Bustan – ein Hof, den Shaul und Gullu nach den Grundsätzen der Permakultur nachhaltig bewirtschaften. Bevor wir nach Palma zurückkehrten, besuchten wir noch den kleinen jüdischen Friedhof in Santa Eugenia.

Den Shabbatabend verbrachten wir in der Synagoge mit der jüdischen Gemeinde Palmas. Es wurde ein langer Abend, bei gutem Essen und Wein und anregenden Gesprächen.

Alles in allem war es ein beeindruckendes, spannendes Kolleg mit einem vielseitigen Programm, in herzlicher und offener Atmosphäre, geprägt von Neugier und Austausch. Die Gastfreundschaft der Jüdischen Gemeinde vor Ort war unbeschreiblich. Wer also das nächste Mal in Palma de Mallorca ist, sollte auf jeden Fall in der Synagoge der Comunidad Judía De Les Illes Balears vorbeischauen. Es lohnt sich.

Archiv