Porträt ELES-Auslandsförderung: David Zolotov

David Zolotov studierte fünf Monate lang an der Korea University (KU). Der BWL-Student und ELES-Stipendiat hat uns einige Fragen zu seinem Aufenthalt in Seoul beantwortet.

Herr Zolotov, warum war Ihnen das Auslandssemester in Südkorea wichtig und weshalb haben Sie sich für die KU entschieden?

Ich wollte das in Südkorea herrschende Gefühl von Aufbruch und Neuschöpfung miterleben. Südkorea war jahrhundertelang besetzt, dann gab es einen verheerenden Krieg mit dem Norden, bei dem annähernd das ganze Land zweimal hintereinander zerstört wurde. Ähnlich wie Deutschland hat sich Südkorea schnell wieder aufgebaut, aber anders als Deutschland hat es sich sehr stark von seinen Wurzeln gelöst. Zudem investiert Korea überdurchschnittlich viel in Bildung und die Universitäten haben entsprechende Mittel, was sich natürlich sehr positiv auf die Lehre auswirkt. Die Korea University ist eine der angesehensten Universitäten Asiens. Als ich gesehen habe, dass die Humboldt-Universität Fakultätsverträge mit der KU hat, bewarb ich mich umgehend. Seit meinem Aufenthalt in Südkorea kann ich mir sehr gut vorstellen in oder mit Asien zu arbeiten: „naneun gidaedwae (I am looking forward)“!

Welche Relevanz hatte und hat der Aufenthalt für Ihr Studium?

Der Aufenthalt war für mein Studium tatsächlich wichtiger, als ich zuerst dachte. Viele der Kurse waren auf einem sehr hohen Niveau, auch mit hohen Ansprüchen an uns Studierende. Uns standen z. B. riesige Datenbanken zur Verfügung, mit denen Marktanalysen durchgeführt werden konnten oder auch Simulationsprogramme der Harvard Business School – für BWLer*innen ein absoluter Traum. Tatsächlich haben mir aber am meisten die VWL-Kurse gefallen. Wir haben Herleitungen für Modelle gemacht, von denen in Berlin nur verlangt wurde, das bloße Prinzip zu verstehen. Es hat mir so sehr gefallen, dass die Professor*innen den Unterricht technisch gestaltet und trotzdem viel Bezug auf aktuelle und vergangene Wirtschaftslagen genommen haben, dass ich mich entschloss, meinen Bachelor in „International Finance“ zu schreiben, einem VWL-Fach. Ich plane, später auch meinen Master in VWL zu machen. Abgesehen davon habe ich in Korea viel intensiver gelernt.

Was waren die größten kulturellen Herausforderungen, auf die Sie im Rahmen Ihres Studiums und Aufenthalts gestoßen sind?

Die meisten, die in Korea waren, werden antworten, dass der Konfuzianismus die größte kulturelle Herausforderung ist. Man darf Autoritäten nicht anzweifeln. Jeder, der deutlich älter ist als man selbst, hat automatisch Autorität. Das war für einen wissenschaftlichen Diskurs innerhalb der Seminare nicht förderlich. Außerdem wird in Korea sehr indirekt kommuniziert. Wenn es ein Problem gibt, dann lässt man es den anderen zwischen den Zeilen und mit Gestik wissen. Bei einem Menschen, der sich mit diesen Codes nicht auskennt oder bei einem sehr direkten Menschen wie ich es bin, kann das zu Missverständnissen führen.

Was hat Sie besonders beeindruckt?

In der Metropolregion Seoul leben um die 25 Millionen Menschen. Die Dimensionen sind riesig. Die Leute arbeiten Tag und Nacht, aber das Stadtbild spiegelt diese Leistungsgesellschaft überhaupt nicht wider. Der Verkehr ist wild, riesige Pakete werden auf Mofas geschnürt, die sich zwischen den Autos durchschlängeln, jedes Hochhaus scheint in einem anderen Winkel zum anderen zu stehen, aus breiten Straßen werden kleine verwinkelte Gassen und manche Rolltreppen hören ab der Mitte einfach auf. Es herrscht eine beeindruckende Dynamik und der Geist von Fortschritt und Modernisierung und trotzdem hat man das Gefühl von Spontaneität und Authentizität. Die Leute sind sehr entspannt, sie bleiben positiv und hilfsbereit. Korea vereint, nach dem Eindruck, den ich während meiner Anwesenheit bekommen habe, beides: Herzlichkeit und Produktivität.

In Südkorea leben nur sehr wenige Jüdinnen und Juden. Haben Sie trotzdem jüdisches Leben in Seoul kennenlernen können?

Ja, das habe ich tatsächlich. Josef, ein messianischer Jude, hat mich in der Universität angesprochen. Das war erst ein lustiger Zufall, aber später ist mir aufgefallen, dass es nur eine Frage der Zeit war, denn Josef kann 14 Sprachen und es war deshalb sein Ding, alle Leute anzusprechen und ihre Sprache zu erraten. Josef hat mich dann zum Chabadhaus mitgenommen. Das Haus, über dessen Eingang „Jewish Embassy“ steht, wurde von einem Rabbi und seiner Familie bewohnt. Eine feste Gemeinde gibt es in Seoul nicht. Wenn religiöse Juden nach Seoul kommen (geschäftlich oder touristisch), ist das Chabad-Haus dafür da, sie mit koscheren Lebensmitteln zu versorgen und einen Ort zum Beten anzubieten. Ich bewundere diese Familie, denn es kostet viel Kraft, ohne Gemeinde zu leben und zu wissen, dass alle religiösen Kontakte, die man schließt, nicht auf Dauer sind. Nur Josef war immer da. Doch als messianischer Jude fühlte er sich nicht willkommen, weder in der Kirche noch im Chabad-Haus.

Welches Fazit ziehen Sie aus dieser Zeit?

Die Erfahrungen, die ich in Korea gemacht habe, waren sehr wertvoll. Ich habe mir neue persönliche Ziele gesetzt. An die Monate in Korea werde ich mich noch lange erinnern. Man kann vermutlich keinen richtigen Eindruck von Südkorea bekommen, ohne dort gewesen zu sein. Es ist viel zu chaotisch und komplex, um es zusammenzufassen. Für mich fühlt es sich an als müsste ich eine Farbe beschreiben, die mein Gegenüber nicht kennt.

 

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