ELES-Stipendiatin über neue Plattform Spread stories, not the virus

Lea Lewitan, Studentin des Master-Studiengangs „4CITIES“ und ELES-Stipendiatin, stellt die von ihr mitbegründete Plattform Spread stories, not the virus vor:

Der Ausbruch des Coronavirus stellt die Weltgemeinschaft auf den Kopf. Er greift unaufhaltsam um sich und macht keinen Halt, weder vor Nationalität noch Religion. Unser Verständnis von Menschlichkeit und Solidarität steht vor einer großen Herausforderung, denn es muss in all seinen Facetten auf globaler Ebene neu definiert werden. Welche Kommunikationsformen und -plattformen, welche Worte, Botschaften und Appelle geben in der Corona-Krise Halt und Hoffnung und fördern Solidarität? Als globales Netzwerk von zwölf Urbanist*innen und Masterstudent*innen des „4CITIES – Master Program“ haben wir am 16. März 2020 die Initiative Spread stories, not the virus gegründet. Wir sammeln und veröffentlichen Geschichten, Erfahrungen und Reflexionen aus der ganzen Welt. Ziel ist es, die unterschiedlichsten Perspektiven und Eindrücke auf unser von Covid-19 beeinflusstes Leben sichtbar zu machen.

Die Geschichten reichen über unsere eigenen lokalen Erfahrungen hinaus und geben uns einen Eindruck dessen, was außerhalb der Grenzen unserer individuellen Quarantäne passiert. Wir haben bisher über hundertfünfzig verschiedene Stimmen veröffentlicht. Geschichten von Priština bis nach Shanghai, von Kigali bis nach Brüssel, von Wollongong nach Rotterdam, von Venedig nach Tiflis. Soziale Distanzierung und häusliche Quarantäne sind für Milliarden Menschen weltweit zum Alltag geworden. Die Aufhebung der Grundrechte, die bis vor kurzem noch undenkbar war, gilt heute als normal und „gesund“. Unsere Geschichten zeigen die Auswirkungen der radikalen Maßnahmen auf die Städte. Menschen beschreiben, was sie beobachten, wenn das Leben im öffentlichen Raum unerwartet und plötzlich verschwindet. Welche Art von Stadt entsteht, wenn Interaktion zwischen Menschen auf ein Minimum reduziert, soziale Distanzierung gezwungenermaßen verordnet und das Leben auf die eigenen vier Wände beschränkt wird.

Unsere Geschichten stammen aus mehr als 30 Ländern und über 55 Städten. Besonders in der letzten Woche haben wir Geschichten aus dem globalen Süden, aus Kenya, Manila, Lahore, Lanzou, Manila und Bogotá erhalten, die uns bewusst machen, dass weltweit eine große soziale Disparität im Hinblick auf die Möglichkeiten der sozialen Distanzierung und dem Zugang zu medizinischer Versorgung herrscht. Das Recht auf die Stadt ist auch ein Recht auf Leben. Gelebte Solidarität und Menschlichkeit in Zeiten einer Hyper-Globalisierung erfordert ganz klar Maßnahmen und Veränderungen. Als internationales Team (Mexico, Brasilien, Kolumbien, China, England, Deutschland, Italien und Holland) haben wir durch unsere individuellen, weitreichenden und diversen Netzwerke viele Menschen kontaktieren und für das Erzählen ihrer eigenen Geschichten mobilisieren und inspirieren können. Als einer der ersten Plattformen, die internationale Geschichten des von COVID-19 geprägten Lebens veröffentlicht, erhielten wir von Anfang an großen Zuspruch und Interesse.

Durch unsere eingeschränkte Mobilität und begrenzte Bewegungsfreiheit entsteht eine neue Form von Wirklichkeit: Eine zutiefst menschliche Verbundenheit, auch wenn die physische Nähe dahinschwindet. Mit der Veröffentlichung der Geschichten werden die unterschiedlichen, geographischen Realitäten greifbar. Dies ermutigt uns, sich in unbekannte, soziale Kontexte hineinzuversetzen, die wir oftmals in unseren Mikrokosmen übersehen.  Mit der Gründung unserer Initiative stand von Beginn an die zentrale Botschaft einer globalen Solidarität fest. Wir sind der festen Überzeugung, dass diese Krise nicht nur in abgeschotteten Laboren oder durch Konferenzschaltungen zwischen weltweit führenden Politiker*innen gelöst werden kann, sondern auch durch den Austausch und die Koordination regionaler und lokaler Maßnahmen und Initiativen sowie durch und mit mutigen Bürger*innen weltweit.

Neue Perspektiven auf die Welt werden erfahrbar, welche uns in der Zukunft den Weg aus der globalen Krise erleichtern können. Es sind Geschichten, die Treibstoff für nachhaltige, soziale Transformationen liefern, da Solidarität, Kreativität, Mut und Zusammenhalt zum Grundgedanken unseres Handelns werden. Die Erzählungen fordern einen starken, solidarischen Zusammenschluss von Staaten und eine verantwortungsvolle, menschengerechte Politik. Nur dann können wir auch in Zukunft von einem „Recht auf die Stadt“ reden. Menschsein in Zeiten einer Pandemie heißt für unsere Initiative demokratische Werte, transparente Politik und solidarisches Handeln durch geteilte Erzählungen sichtbar zu machen und uns dafür stark zu machen.
Auch Leserinnen und Leser können ihre individuellen Geschichten auf unserer Website einreichen. Die einzigartigen Perspektiven von Spread stories, not the virus sind wertvolle Einblicke und individuelle Inspirationsquellen für eine mutige, visionäre, konstruktive, gerechte und offene Gestaltung von Post-Corona Städten.

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