ELES stellt sich vor… Prof. Dr. Frederek Musall

 

ELES stellt sich vor…

Dieses Mal mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des ELES-Beirats, Prof. Dr. Frederek Musall.

 

Was sind Ihre derzeitigen Schwerpunkte in Ihrer Forschung und Lehre?
Obwohl ich eigentlich ein Experte für die jüdisch-arabische Philosophie des Mittelalters (z. B. Moses Maimonides, Jehuda ha-Levi) bin, beschäftige ich mich in den letzten Jahren vor allem mit den vielfältigen Prozessen religiöser Pluralisierung und Differenzierung im Judentum in der Moderne, worin vermutlich auch eine persönliche Motivation liegt. Konkret arbeite ich gerade über Diskurse und Aushandlungsprozesse im orthodoxen Judentum, insbesondere im charedischen Milieu. In meiner Lehre bemühe ich mich aber auch immer wieder, andere jüdische Narrative zu thematisieren, welche hierzulande weniger im Fokus stehen, wie beispielsweise Selbstverständnisse von orientalischen Jüd_innen in unterschiedlichen historischen und geo-grafischen Kontexten. Denn Judentum ist weit mehr als nur Tanakh und Palmach, es ist ein Hinhören auf das komplexe Dazwischen und das noch oft noch nicht absehbare Darüberhinaus.

Was ist das erste Erlebnis, das Sie mit ELES verbinden?
Auf eine Zigarette mit Jo Frank – bin zwar Nicht-Raucher, stand aber trotzdem mit vor der Tür, hatte ja auch keine andere Wahl … Aber mal im Ernst: Das erste Erlebnis, an welches ich mich erinnere, ist ein Gespräch mit Jo Frank vor sechs Jahren in Heidelberg, als wir uns über die unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse der beginnenden Stipendiat_innen austauschten. Ich selber hatte u. a. für die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V. (ZWST) in der jungen Erwachsenenbildung gearbeitet und kannte also einige aus der ersten Generation aus eben diesem Kontext. Es ist wirklich erstaunlich, was innerhalb von nur sechs Jahren alles passiert ist, das wir damals noch nicht voraus- und absehen konnten oder uns vorzustellen wagten …

Wie erleben Sie bisher den ELES-Beirat als Forum jüdischer Hochschullehrer_innen in Deutschland?
Bislang sind wir als Beirat m. E. noch zu wenig ins gemeinsame Nachdenken und Gespräch darüber gekommen, wie wir uns als ein solches Forum artikulieren und entfalten können bzw. möchten. In den vergangenen sechs Jahren standen sicherlich andere Dinge im Vordergrund. Aber ich sehe den Beirat nicht nur als ein Forum, sich mit anderen jüdische Hochschullehrer_innen und Wissenschaftler_innen zu vernetzen, sondern auch als Chance, durch ein solches Forum Impulse, Fragen und Kritik in die Mehrheitsgesellschaft zu kommunizieren. Von daher, um es mit Franz Rosenzweig zu sagen: Zeit ist’s! Oder in Anlehnung an eine Freundin: Yallah, Beirat!

Wenn Sie Stipendiat_in wären, was würde Sie im ideellen Förderprogramm besonders interessieren?
Da muss ich nicht lange überlegen: Meine spontane Antwort lautet: Dialogperspektiven! Dieses Programm eröffnet einen einzigartigen Gesprächsraum mit Stipendiat_innen anderer Begabtenförderwerke. Dialogperspektiven ist herausfordernd, denn es fordert den Mut und die Bereitschaft, die eigenen Komfortzonen zu verlassen, sich mit anderen Perspektiven in Bezug auf gesellschaftliche Fragen zu konfrontieren und sich kritisch mit dem eigenen Selbstverständnis in der Begegnung mit anderen Studierenden auseinanderzusetzen. Aber Dialogperspektiven vermag im Gegenzug auch viel zu geben: nicht nur an theoretischem und praktischem Input, sondern eben an und durch gemeinsame/r Begegnung und Erfahrung. Zum anderen halte ich die Praxiskollegs für ungemein wichtig, welche eine Plattform bieten, sich über Pluralisierung und Pluralität innerhalb des Förderwerkes austauschen zu können sowie ferner die Möglichkeit eröffnen, an gemeinsamen Initiativen zu arbeiten, wie diese Pluralität in der Praxis artikuliert und gemeinsam gelebt werden kann.

Wo sehen Sie den Schwerpunkt Ihres Engagements für das Studienwerk?
Mein Herz schlägt, wie an der vorherigen Antwort deutlich geworden ist, insbesondere für das Dialogperspektiven-Programm, in welches ich konzeptionell wie als Workshop-Leiter eingebunden bin. Ich verstehe mein Engagement für ELES nicht nur als ein passives ab- und angefragt werden, sondern auch als Möglichkeit mitgestaltend als Impulsgeber zu wirken. So etwa auch bezüglich Fragen von (religiöser) Pluralisierung innerhalb des Studienwerkes: Als jemand, der teilweise in den Vereinigten Staaten aufgewachsen ist, halte ich eine reflektiert artikulierte binnenreligiöse Pluralität für grundlegend und entscheidend für eine tragfähige und nachhaltige jüdische Gemeinschaft in der modernen Lebenswelt. Aber auch die Arbeit als Vertrauensdozent erlebe ich als wichtig und wesentlich – vielleicht auch gerade dadurch, dass nicht immer fachliche Fragen im Vordergrund der Gespräche und Begegnungen stehen müssen.

Was wünschen Sie dem Studienwerk für seine Zukunft?
Bis 120 und weit darüber hinaus seinen eigenen Derekh Jashar (d. h. den ‚geraden Weg’, wobei dieses ‚gerade’ nicht ‚direkt’ oder ‚in eine Linie’ meinen muss ..) gehen zu können: mit Zuversicht, Mut und Charme – und eben auch ein bisschen Chutzpeh!

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